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Rückwärtiger Raum und Zukunftsplanung

Rückwärtiger Raum und Zukunftsplanung

Bericht eines erstmaligen Teilnehmers von der 13. Arbeitstagung der Berufsvereinigung Biografiearbeit auf Grundlage der Anthroposophie e.V. (BVBA) Anfang Oktober 2015

Was haben rückwärtiger Raum und Zukunftsplanung miteinander zu tun? Mit dieser unausgesprochenen Frage beschäftigten sich die 12 bis 14 Teilnehmenden (Mitglieder und Gäste, vier aus der Schweiz) im Freizeithaus in Mannheim-Neckarau. Der rückwärtige Raum wurde für alle lebendig durch die vielfältigen Schreit- und Stehübungen, die Sylke Ober-Brödlin uns intensiv erfahren ließ. Die geistige Welt, die Nachtwelt, strömt an unseren Rücken heran. Brandet sie an oder kann sie hindurchströmen? Wie durchlässig und aufnahmebereit sind wir in unserem Rücken

für das Geistige? Wie entspannt und offen ist unsere Siegfried-Stelle zwischen den Schulterblättern? Mit solchen Fragen wurden wir im Stehen, Vorwärtsschreiten im Fersen- oder Ballengang und Rückwärtsgehen konfrontiert. Dieses bewusste Bewegen mündete jeweils in die Bewegungsmeditation „Ich denke die Rede“ von Rudolf Steiner.

Derart „aufgeweicht“ und aufgeweckt wendeten wir uns beschwingt und konzentriert den die Zukunftsplanung betreffenden Arbeitsfragen zu. Hein Kistler führte uns in die Methode der Zukunftsplanung oder -konferenz ein, bei der es darum geht, konkrete Zukunftsziele und -schritte zu erarbeiten. Ein Gastgeber – möglicherweise ein Mensch mit Behinderung – lädt Freunde ein, um mit ihnen – unterstützt durch einen Moderator und ausgehend von seiner erzählten Biografie und daran anschliessenden Wünschen der Gäste – seine eigenen Zukunftsvisionen und -ziele und dahin führende konkrete Schritte zu entwickeln. Hilfreich dabei ist die Unterscheidung der beiden – von Stefan Brodbeck geprägten – Zukunftsbegriffe „Futurum“ (wohin sich die Gegenwart entwickelt, Evolution nach Rudolf Steiner) und „Adventum“ (was auf die Gegenwart zukommt, Involution nach Rudolf Steiner). Hein Kistler ließ uns in seiner wohltuenden, bedächtigen und bedachten Art die Methode erfahren und verstehen. Es geht dabei um die für die Biografiearbeit bedeutsame Frage, wie sich aus dem bisherigen Lebensweg zukünftige Lebensschritte finden bzw. erschließen lassen.

Die andere Zukunftsplanung betraf die BVBA selber. Am ersten Abend tauschten wir uns aus über die Frage: „Wie kommt die Biografiearbeit auf Grundlage der Anthroposophie in öffentliche Einrichtungen?“ Dabei kamen andere Formen von Biografiearbeit, wie zum Beispiel in der akademischen Heilpädagogik oder in der Altenpflege, zur Sprache wie auch neueste behördliche Forderungen nach Dokumentation von Biografien der Bewohner in sozialtherapeutischen und heilpädagogischen Einrichtungen. Auch ging es um Abgrenzung der Biografiearbeit gegenüber Coaching und Events mit biografischem Zusammenhang zur „Selbstoptimierung“ in Wirtschaftsunternehmen. Das Gespräch lief auf die Frage hinaus, welche Identität und welches Selbstverständnis Biografiearbeit auf Grundlage der Anthroposophie hat und wie sie diese kommuniziert.

Der Morgen des dritten Tages war möglichen Zukunftsaufgaben der BVBA gewidmet. Die Teilnehmenden äußerten dazu ihre Wünsche, ungeachtet deren Realisierbarkeit. Aus dem bunten Strauß von Wünschen seien zwei herausgegriffen: die Wissenschaftlichkeit von Biografiearbeit auf Grundlage der Anthroposophie und Aspekte der Ausbildungsgestaltung. Will unsere Art der Biografiearbeit in der heutigen Welt bestehen, muss sie sich ihrer eigenen (geistes)wissenschaftlichen Grundlagen bewusst werden, um sich gegen den akademisch-naturwissenschaftlichen Herrschaftsanspruch und dessen Dogma zu behaupten. Zu diesem Thema wird im nächsten Mitgliederbrief ein eigener Bericht erscheinen. Weiter wurden Wünsche und Ideen zur Biografiearbeitausbildung bewegt. Dabei ging es um ein Ausbildungskollegium innerhalb der BVBA, um neue Ausbildungsformen, in denen sich Gruppen von Auszubildenden ihre Dozenten aus einem Kompetenzpool der BVBA holen, oder um Möglichkeiten, sich mit anerkannten Ausbildungsinstitutionen, wie z. Bsp. Universitäten, zu vernetzen. Die Frage des Kompetenzpools wird vom Vorstand weiterverfolgt.

So ergaben sich aus der Verbindung von rückwärtigem Raum und Zukunftsplanung eine fruchtbare und alle Teilnehmenden befriedigende Arbeitsstimmung mit konkreten, weiterführenden Arbeitsergebnissen. Allen Organisator(inn)en sei herzlich für die gute Organisation – Walter Seyffer für Räumlichkeiten und Verpflegung – und klare Leitung – Sylke Ober-Brödlin und Gemma Priess – gedankt. Es war herzerwärmend und kräftigend, mit Gleichgesinnten solch wichtige Fragen gemeinsam zu bewegen. Schön, dass es schon vom 29. April bis 1. Mai 2016 in Berlin weitergeht.

Philip Jacobsen, Dornach (Schweiz)